Tanz als Symbol

Das für die Ausgabe 2-2015 ausgeschriebene Thema „Tanz und Symbole“ regt in mir an, das Thema „Tanz als Symbol“ zu vermitteln. Dabei möchte ich den Begriff des Symbols auf den meditativen und sakralen Tanz beziehen.

Von seiner Wortbedeutung her weist „Symbol“ auf eine Beziehung hin. Das altgriechische Wort σύμβολον sýmbolon wird u. a. als „Erkennungszeichen“ übersetzt. Was bedeutet, dass eine/r in der Beziehung über etwas verfügt, was dem/der anderen ein Erkennungszeichen sein kann. Es ist auch ein Wieder-Erkennungszeichen, denn um etwas als Eigenes zu erkennen, muss es in uns vorgegeben sein, sonst könnten wir es nicht als uns meinend erkennen. Ein Symbol ist demnach etwas, über das wir uns erkennen, das uns hilft, uns selbst in uns bisher unbewussten An-Teilen zu erkennen.

Der Entstehungsgeschichte des Begriffes sýmbolon liegt im alten Griechenland eine Praxis zwischen Partnern zugrunde, die sicherstellen wollten, dass die Legitimität eines Überbringers gesichert dies. Dazu zerbrachen sie einen Gegenstand in zwei Teile. Als Ausdruck der Legitimität mussten bei der Begegnung der Partner beide Teile zusammengefügt werden. Aus zwei Teilstücken wird ein Ganzes.

Die Vorsilbe „sym“ deutet auf eine uns angenehme, uns ansprechende Gemeinsamkeit hin, wie wir es aus dem Wort Sym-pathie her kennen. Das Verb „ballo“ wird u. a. übersetzt mit „etwas in Bewegung bringen“, was wiederum einen unmittelbaren Bezug zum Tanz hat, der sowohl bewegt als auch zeitgleich etwas über den Körper in der Seele in Bewegung bringen möchte. Wenn wir diese beiden Wortteile miteinander zusammensetzen, nähern wir uns der psychologischen Bedeutung von „Symbol“ an: über das Symbol wird in uns etwas in Bewegung gesetzt, was uns angenehm berührt, was in uns eine uns bislang unbewusste Seite anspricht und ins Bewusstsein zu heben versteht.
„Symbol“ wird auch manchmal als Sinn-Bild übersetzt, also einem Bild, das für uns einen tiefer liegenden Sinn ergibt. Das Symbol ist mehr als ein bloßes Zeichen, dessen Aussage unmissverständlich klar ist. Das Symbol dagegen hat etwas uns Verborgenes, dass es zu entschlüsseln gilt.

Im Tanzen können uns vielfältige Symbole begegnen, die uns einerseits, wie z. B. die Tanzrichtungen selbstverständlich sind, die darüber hinaus noch eine weitreichendere Bedeutung und damit Wirkung bekommen können. Die Tanzrichtung ist eine absolut objektive Tatsache. Zugleich kann sie eine subjektive Bedeutung bekommen, wenn wir sie z. B. auf unseren Lebensweg beziehen.

Dem Symbol gegenüber steht das Diabol, aus dem griechischen diaballo, was wir übersetzen können mit auseinander bringen, entzweien, täuschen, betrügen und verleumden. Der Diabolos, der Teufel, ist uns als Personifikation dieser uns spalten wollenden Kraft bekannt.

Das Symbol möchte verbinden, zusammenfügen, was uns als Ganzheit und Einheit erscheint. Das Diabol steht dieser Einheit suchenden Fähigkeit entgegen. Es gibt alledings auch den gesunden Zweifel, der uns davor bewahrt, unkritisch etwas zu übernehmen, was nicht zu unserer Ganzheit gehört. Beides gehört zusammen, Offenheit für das uns Ergänzende wie auch Skepsis gegenüber deiner uns blendenden Faszination.

Beides, Symbol wie Diabol, stehen in der Spannung zwischen Eins und Zwei. Das Symbol für das Zusammenfügende zum Einen. Das Diabol zum Entzweien des Einen.

Wir nehmen die Welt nicht eindimensional wahr. Wie es die objektive, die an der Realität orientierte Weltsicht gibt, gibt es auch die subjektive, die sich an der inneren Weltbeschaffenheit orientiert. Zu der objektiven Welteinstellung gehört das konkret-rationale Denken. Mit deren Hilfe wir uns in der äußeren Welt zurechtfinden, sie einordnen und unseren Platz in ihr finden können. Eine klare, unbestrittene, nüchterne Weltbetrachtung; allerdings manchmal auch kühl.
Ihr fehlt das emotionale Element, das subjektive Erleben. Die „irrationale“ Welteinstellung nimmt bildhafte, symbolische und intuitive Impulse auf. In ihr wachsen Fantasien, Kunst, Träume und Sehnsüchte. In ihr sind wir nicht rational, intellektuell angesprochen, sondern irratational, emotional.
Beides hat seine Bedeutung und seine Wichtigkeit, gehört nicht auseinander gehalten sondern zusammengefügt. Sie können sich gegenseitig unterstützen.

Auch im Tanz begegnen wir diesen beiden Einstellungen. Die Choreographie ist erst einmal ganz konkretistisch-rational. Sie legt fest, was wir machen sollen, wohin und wie wir uns bewegen sollen. Solange wir sie nur funktional ausführen, bleibt die irrational-emotionale Einstellung brach liegen. Sie könnte unsere Fantasie wecken, was die eine oder andere Bewegung für uns ganz persönlich bedeutet, welchen subjektiven Ausdruck wir über sie erkennen können.

Die uns bewegende Choreographie ist klar und bestimmend. Der Tanz als Symbol dagegen bleibt unbestimmt, bedarf der individuellen Übersetzung. Wenn in uns etwas bewegt wird, erkennen die Tanzenden etwas über die rein äußere Bewegung hinaus gehendes, von dem sie sich ganz persönlich angesprochen fühlen. Der Tanz bringt in den Tanzenden etwas ins Schwingen.
Eine Wendung in der Tanzrichtung könnte z. B. auf eine Wendung auf dem eigenen Lebensweg hindeuten, eine andere Sichtweise eröffnen oder sogar Kräfte für eine Wandlung wecken. In und aus der choreographierten Bewegung geschieht gleichzeitig in uns ein Prozess, in dem wir symbolisch etwas erkennen, was zu uns gehört. Ganz wie im ursprünglichen Sinne des griechischen Erkennungszeichens. 

Es findet ein Dialog statt zwischen der objektiven Bedeutung, der Richtung des Tanzes, und einer psychischen Entsprechung des eigenen Entwicklungsweges. Wenn eine bestimmte Richtung die Tanzenden als Symbol erfahren, wird es über den Tanz hinaus um die Frage gehen, was bedeutet dies für das konkrete Leben. Welche Aus-Richtung wird als bestimmend erlebt und welcher Richtungswechsel will bedacht und eventuell umgesetzt werden.
Dieser Dialog findet jedoch nicht zwangsläufig statt, sondern bedarf der Offenheit und Empfänglichkeit. Je mehr die Tanzenden auf das Erfüllen der choreographisch korrekten Schritte fixiert bleiben, desto unwahrscheinlicher sind Fortschritte im Umgang mit der Symbolkraft des Tanzes und damit die Möglichkeit, sich selbst tanzend zu erkennen und am Symbol zu wachsen und zu reifen.

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Günter Hammerstein, Tanz und Meditation, Onstmettinger Weg 7, 70567 Stuttgart, Telefon: 0711 7653729, E-Mail info@guenter-hammerstein.de