Wachsen und Entfalten

Die folgenden Gedankenspiele wollen reale biologische Abläufe in Beziehung setzen mit seelischen Entwicklungslinien. Was wir im Außen erkennen, spiegelt (uns) seelische Prozesse wieder. Die komplexen Gedankenspiele laden ein, zwischen den Zeilen zu lesen und über die konkretistischen Begrifflichkeiten hinaus eine tiefere Dimension mit einzubeziehen.

Dabei geht es mir nicht um absolute, unwiderlegbare Wahrheiten, sondern um ein freies Assoziieren mit Bildern und Symbolen. Sie möchten anregen, aufzunehmen und weiter zu denken und zu phantasieren: die Anregungen möchten wachsen und sich entfalten dürfen.

Wachsen braucht Energie, folgt einem inneren, genetisch bedingten Entwurf. Beziehen wir uns symbolisch auf die vegetativen Abläufe in der Natur, ruht der Entwurf als Samen im Boden, durchstößt die Erde und wächst himmelwärts.

Auf den Symbolgehalt des Meditativen Tanzes bezogen, könnten wir das Wachsen verstehen als die (Aus-) Richtung des Weges von der Kreisbahn, dem Schreiten auf den Erdenwegen, hin zur Mitte als dem Zentrum, das uns bewegt, auf das hin wir uns ausrichten. Den eigenen Wesenskern zur Entfaltung bringen, könnte verstanden werden, sich mit der Bestimmung aus der Mitte zu verbinden, zu entwickeln und zu entfalten, was im eigenen Wesen – einem Samen gleich – bereits prägend angelegt ist.

Wachsen benötigt Nahrung. Die genetische Anlage alleine fördert kein ausreichendes Wachsen. Nahrung nimmt sich die Pflanze von unten aus der Erde und nimmt sie über die Sonne von oben auf. Der Regen fällt von oben und fällt auf die Erde nieder, aus der sich die Wurzeln die zum Wachsen notwendige Feuchtigkeit nehmen.

Im Wachstumsprozess binden und verbinden sich Erd- und Himmelskräfte. Ohne das Zusammenwirken beider Kräfte gedeiht kein Wachsen. Bezogen auf das Meditative Tanzen könnten wir die „Himmelskräfte“ als Gewahrwerden der Symbolkraft sowie der den Tänzen innewohnenden Wirkkräfte verstehen. Die „Erdkräfte“ verbinden sich mit dem je eigenen persönlichen Erleben und den Bezügen zum eigenen Lebensprozess. Beide Kräfte nähren unser Wachsen. Wir nehmen Impulse auf, die unserem Leben neue Richtungen weisen können.

Entfalten beinhaltet in sich ein Durchsetzungsvermögen, einen Widerstand, gegen den ich mich entfalten muss. Entfalten braucht Raum, den ich mir zugestehe, den ich mir hole, den ich beanspruche.

 Es gibt keine Entfaltung in den Raum ohne das Wachsen und Reifen zwischen Erde und Himmel. Beide Wachstumsrichtungen wirken ineinander.

Wachsen spricht m. E. mehr die Dimension zwischen Erde und Himmel an, während mir Entfalten mehr die Dimension der Expansion von Innen nach Außen anzusprechen scheint.

Verlassen wir die konkretistische Weltsicht und wenden uns dem symbolhaften Weltverständnis zu und beziehen es auf das Meditative Tanzen.

Dann können wir die Erdkräfte, als Materie dem Körperlichen zuordnen und die Himmelskräfte als geistige, spirituelle Kräfte dem Himmel. Menschliches Wachsen und Reifen benötigt wie die vegetativen Prozesse Nahrung für den Körper wie auch Nahrung für die Seele.

Die körperliche Erfahrung verbindet Erd- und Himmelskräfte. Mit den Füßen wurzeln wir im Urgrund unseres Seins (aus Materie, der Erde sind wir symbolisch geschaffen) und über unsere Aufrichtung richten wir uns zum Himmel aus, nehmen die Kräfte des Himmels in uns auf und nähren damit Körper, Geist und Seele).

Das Fußen in der Materie stellt nicht nur Nahrung für körperliche Verbrennungsprozesse zur Verfügung. Wir gründen uns in den Wesensgrund. Im Verwurzelt-Sein mit dem eigenen Urgrund stellt es uns in die Frage hinein, woher kommen wir und richtet uns auf in die Frage, wohin gehen wir.

Seelisches Wachsen und Entfalten bindet beide Fragestellungen in sich ein, sowohl die Frage nach dem Woher als auch die nach dem Wohin.

Entfaltung setzt Wachstum voraus, also die Verbindung zwischen Erde und Himmel. Sich in die uns umgebende Welt entfalten, sollte die das Wachstum fördernden Kräfte zwischen Erde und Himmel im sozialen Gefüge widerspiegeln.

Wenn eine Pflanze sich nur nach oben, zum Himmel ausrichtet, sich jedoch nicht mit Blättern und Zweigen entfaltet, erfährt sie keine Stabilität, läuft sie Gefahr, sich den Bedrohungen von außen nicht gewachsen zu fühlen, weil es ihr an Flexibilität mangelt. Je mehr sich die aufrichtende Dynamik zwischen Erde und Himmel verzweigt und entfaltet, desto wirksamer unterstützen sich stabilisierende und flexible Kräfte gegenseitig.

Wachsen bedeutet Veränderung. Ein alter (Lebens-) Zustand verändert sich, wächst in eine sich verändernde Lebensphase hinein. Altes wird zurückgelassen,  Neues wird aufgebrochen. Wachsen folgt dem ewigen Gesetz von Stirb und Werde.

Wachsen beginnt im Dunkeln, im Reich der Mutter Erde. Im Dunkel, dem Reich der Schatten ruhen all jene Kräfte, die bisher noch nicht vom Licht des Bewusstseins erkannt wurden. Psychisches Wachsen bringt bisher Ungelebtes ins Bewusstsein.

Beim Meditativen Tanzen fördern u. a. die Wiederholungen bisher unbewusste und mithin ungenutzte Wachstumspotentiale. Die Wiederholungen wecken bisher unbewusste Lebensthemen, die vom Bewusstsein für seelisches Wachsen und Reifen genutzt werden können. Wiederholungen verwurzeln uns mit den im Tanz ruhenden Wirkungskräften.

Wachsen greift auf Potentiale zurück, die bisher ruhten, die abgerufen werden, die dem Reifungsprozess zugeführt werden können. Wachstum setzt Talente und Begabungen um, lässt uns werden, wie wir aus dem Zentrum unseres Seins gemeint sind.

Die Kraft des Wachsens nährt sich aus der Dynamik zwischen Erde, im Meditativen Tanz der Kreisbahn, und dem Himmel, im Meditativen Tanz der Mitte. Die aus dieser Beziehungsdynamik aufgenommenen Energien verwirklichen sich im Raum von Zeit und Lebenswelt.

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Günter Hammerstein, Tanz und Meditation, Onstmettinger Weg 7, 70567 Stuttgart, Telefon: 0711 7653729, E-Mail info@guenter-hammerstein.de