Lebensbahnen - neue Wege

Amplifikationen  zum Titel Heft 1-2016

Eisenbahnen wie auch Straßenbahnen fahren – wie der Namen schon ausdrückt - auf Bahnen, auch Schienen oder Gleise genannt. Ihnen eigen ist, dass die Fahrzeuge die vorgegebenen Bahnen nicht verlassen können. Die Richtung ist vorgegeben, umkehren bedarf eines Wendemanövers, zu dem Weichen erforderlich sind. Oder der Fahrer muss vom vorderen Wagen in den hinteren umsteigen, der dann wiederum der vordere Wagen ist. Richtungswechsel erfordern in diesem Falle auch Positionswechsel.

Auch Himmelskörper bewegen sich auf Bahnen, auf sogenannten Umlaufbahnen, die von verschiedenen Kräften bestimmt werden. Umlaufbahnen können berechnet werden. Sie sind demzufolge berechenbar, weichen von der berechneten Bahn nicht ab.

„Bahnen“ weisen demnach eine begrenzende Struktur auf, die die vorzunehmende Richtung vorschreiben. Eine frei zu wählende Richtung ist nicht möglich. Lebensbahnen drücken demzufolge die Abhängigkeit von vorgegebenen Strukturen aus, den unabdingbar zu folgen ist. Autonome Entscheidungen und Bewegungen sind auf Bahnen nicht möglich.

Wenn das Leben in „geregelten Bahnen“ verläuft, mag das beruhigende Wirkung haben. Die Entscheidungsfreiheiten werden einem abgenommen. Der weitere Verlauf des Weges ist vorhersehbar. Abweichungen stoßen auf Grenzen, die wieder auf die vorgegebene Bahn zurück führen.

Wenn dagegen jemand auf die „schiefe Bahn“ gerät, lässt dies eine bedenkliche Entwicklung befürchten. Die Abweichung von der tolerierten Norm lässt einen vom dem anerkannten Weg abgleiten. Es gibt eine Kollision mit der kollektiven oder moralischen Norm.

Die angeführten Wortbilder drücken das Eingebahnte eines Weges aus. Dass die Lebensbahn vorgezeichnet ist. Sie weist feste Vorgaben auf, die Sicherheit geben. Eine festgefügte Ordnung, die Orientierung und Halt verleiht.
Abweichungen sind dabei nicht vorgesehen. Dann gerät man all zu leicht auf die „schiefe Bahn“, kommt vom rechten Weg ab. Dabei handelt es sich meist um kollektive Vorstellungen eines „rechten“ Weges. Die vorgezeichneten Wege individuell zu verändern, bedeutet, mit Vorgaben und Erwartungen zu brechen.

Manchmal gibt es auch durchaus Schicksalhaftes, was die „Lebensbahn“ prägt und vorbestimmt. Da haben wir das Gefühl, als wenn uns etwas „aus der Bahn wirft“. Was auch die Chance bedeuten kann, dem Leben eine neue Richtung zu geben.

Wir müssen nicht schicksalsergeben den Lebensspuren folgen. Den uns eigenen Weg zu gehen, den unserem inneren Wesen entsprechenden Weg zu folgen, bedeutet autonom zu handeln. Biografische Prägungen müssen nicht lebenslang unseren Weg bahnen. Wir dürfen selbstverantwortlich entscheiden, von welchen Prägungen wir uns bestimmen lassen und von welchen wir abweichen und sie gar korrigieren wollen.

Tänze mit vorgegebenen Strukturen könnten als zu erfüllende „Bahn“ missverstanden werden. Zugespitzt könnten sie einen patriarchalen Charakter formulieren, frei und abgewandelt nach der Devise, „Solange du deine Füße in meine Choreografie stellst, hast du ihr bedingungslos zu folgen.“

Diese strenge strukturelle Vorgabe verändert sich durch eine meditative Einstellung. Diese versteht und nutzt die choreographische Vorgabe als Basis. Die symbolisch auch als fruchtbarer Boden verstanden werden kann, aus dem Neues hervorgehen, sprießen kann. Auf dem sicheren Boden der Struktur, lassen sich neue Impulse aufnehmen.
Um in diesem Bild zu bleiben, wäre, wie geschrieben, die Choreographie als fruchtbarer Boden zu verstehen, und die individuelle Biographie und die psychischen Komponenten als Samen. Der Boden könnte symbolisch betrachtet für unser „Geworden-Sein“ stehen, für all das, was uns bisher geprägt und „gebahnt“ hat. Der Samen könnte symbolisch betrachtet als unser inneres „Gemeint-Sein“ verstanden werden, als das noch zu verwirklichende Potential.
Die choreografischen Vorgaben bewegen uns, doch inwieweit wir innerlich bewegt sind, hängt von unserer Offenheit ab. Eine Entwicklung zwischen Bewegt-Werden und Bewegt-Sein.

In der Meditation im Tanz wird das Eigene, das Individuelle, in das Vorgegebene, das Kollektive, gelegt. Und „neue Wege“ könnten wachsen und reifen, wenn die während der Meditation aufsteigenden Impulse wahrgenommen und ins Leben integriert werden. Was wiederum keinen vorgeschrieben Prozess darstellt. Er setzt die Bereitschaft voraus, alte, d. h. bisherige Einstellungen aufzugeben und sich für neue Anregungen zu öffnen. Ein nahtloser Übergang von begrenzenden „Lebensbahnen“ zu kreativen Umgestaltungen „neuer Wege“ wäre im Sinne der Meditation im Tanz. Je mehr sich die Tanzenden auf die in den Strukturen inne wohnenden Kräfte einlassen, desto mehr können sie in den Tanzenden wirksam werden.
Das Neue hat auch immer eine Verbindung zum Alten, nimmt es mit auf den Wandlungsweg der Selbstwerdung (Individuation). Das Neue baut sich auf dem Alten auf. Aus den alten Erfahrungen (Bahnen) erwachsen neue Entwürfe (neue Wege).

Selbst wenn es in Beziehungen zu einem trennenden Bruch kommt, wirkt im weiteren Verlauf die Erfahrung der zurückgelassenen Beziehung fort. Sie führt zu einer veränderten Beziehungseinstellung und –pflege.

Die in diesem Artikel skizzenhaft angedeuteten Anregungen möchten nicht in Bahnen festlegen, sondern ermutigen, sie assoziativ aufzunehmen und weiter zugunsten der eigenen Selbstwerdung fortzuführen.

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Günter Hammerstein, Tanz und Meditation, Onstmettinger Weg 7, 70567 Stuttgart, Telefon: 0711 7653729, E-Mail info@guenter-hammerstein.de