Aspekte der Heilung und Selbstheilung im Meditativen Tanzen

Eingereichter, von der Redaktion Kreise ziehen jedoch nicht übernommener Beitrag zum Heft 02/2006

Die folgenden Überlegungen können in ihrer Komplexität nur angerissen werden. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit sondern wollen zur Diskussion anregen. Um entsprechende Rückmeldungen wäre der Autor dankbar.

Tänze aktivieren im Menschen Selbstheilungskräfte. Dies entspricht von Anfang an der Bedeutung des Tanzes. Die Frage stellt sich, auf welchem Wege können diese Kräfte geweckt werden. Genügt es, einfach nur zu tanzen oder bedarf es eines Weges, sich der in den Tänzen innewohnenden Kräfte bewusst zu werden?

Der Tanz, der meditative insbesondere, initiiert einen Dialog zwischen dem Tanz und dem Tanzenden, bei dem sich die im Tanz eingebundenen heilenden bzw. heilsamen Kräfte mit denen im Tanzenden ruhenden Selbstheilungskräfte verbinden können.

Dies setzt voraus, dass der Tanzende der Heilung bedarf. Was grundsätzlich zu bejahen ist. Dennoch gibt es unterschiedliche Grade bzw. Notwendigkeiten dieses Bedürfnisses. Hier rühren wir an die kontroverse Beurteilung, was bezeichnen wir als gesund und was als krank.

Kein Mensch ist so gesund, dass er nicht der heilenden Kräfte im Tanz bedürfte. Und dennoch gibt es Menschen, die ihr seelisch-körperliches Gleichgewicht derart verloren haben, dass sie leiden bis dahin, dass sie ihren Alltag kaum noch bewältigen können.

Bischof Isidor von Sevilla definiert im 7. Jh. in seiner „Etymologiae sive Origines“  Krankheit als ein aus der Mitte gefallen sein. Ähnlich sieht es die Traditionelle Chinesische Medizin. Gesundheit ist in ihrem Verständnis die Fähigkeit eines Organismus, variabel auf die Vielfalt von Herausforderungen zu reagieren. Ziel ist es, in Harmonie mit sich und dem Kosmos zu leben. Krankheit wird als ein Ungleichgewicht der Kräfte angesehen.

In der „Etymologiae sive Origines“ wird das Wort „medicina“ abgeleitet von „modus“, dem Maß und der Mitte. Beides elementare Anliegen des meditativen Tanzes.

Nach Hippokrates ist Heilung die Wiederherstellung der inneren und äußeren Symmetrie, Ausgleich, Beseitigung oder Ableitung des Fehlerhaften, um das harmonische Fließgleichgewicht der Säfte und Kräfte zu ermöglichen.

Das Meditative Tanzen regt diese ausgleichenden inneren Prozesse an. Im Einbeziehen der umtanzten Mitte wird auch die Einstellung zur inneren Mitte angesprochen. Die Schritte suchen mit Hilfe von Metrum und Rhythmus das eigene Maß. Die sich wiederholenden Bewegungen gewinnen zunehmend Ausdruckscharakter für innere Befindlichkeiten.

Der Meditative Tanze kann als Medizin im Sinne der oben erwähnten Definition von „medicina“ verstanden werden, wenn es ihm darum geht, den Menschen in seinem Bestreben nach Harmonie zu unterstützen.

Die heilende Wirkung des Meditativen Tanzens beruht darin, den Menschen zu bewegen, in Ordnung, d. h. in Harmonie mit sich und dem Kosmos zu gelangen sowie in Beziehung zu bleiben mit der eigenen und der transzendenten Mitte des Seins.

Verschiedne Krankheitsphänomenen stehen in dem oben skizzierten Verständnis für unterschiedliche Störungen des Gleichgewichtes. Im Heilungsprozess gilt es jene Selbstheilungskräfte zu animieren, die das verlorene Gleichgewicht wieder herstellen bzw. Defizite ausgleichen können.

Tänze, auch die meditativen, dürfen keineswegs als Allheilmittel verstanden und eingesetzt werden. Es gibt heilenden Kräfte, die wirken spontan, sie tun einfach gut. Hier wirkt der Meditative Tanz im Sinne der Psychohygiene.

Andere Tanzende dagegen scheinen gegen die gleichen Kräfte immun zu sein. Sie erfahren keine Linderung ihrer Befindlichkeit. Sie gehen, wie sie gekommen sind. Sie bedürften einer unmittelbareren Ansprache durch den Tanz, der in einer herkömmlichen Tanzgruppe kaum zu leisten sein dürfte. Um in ihnen Selbstheilungskräfte durch das meditative Tanzen zu wecken, wäre es nützlich, sich ihnen direkter und persönlicher widmen zu können.

Im weiteren Verlauf bringe ich einige Erfahrungen und theoretische Hintergründe ein, die ich seit über zehn Jahren in meiner therapeutischen Tätigkeit in einem Fachkrankenhaus für analytische Psychotherapie gewonnen habe.

Wie bei jeder Medizin kommt es auf die Dosis an. Aus dem meditativen Tanzen heraus kann es zu Wirkungen kommen, die den Tanzenden in seinem bisherigen Selbstverständnis aufrütteln und verwirren. Kann die Psyche sie in den Selbstwerdungsprozess (Individuation) integrieren, trägt das Meditative Tanzen zu dieser Heilung entscheidend bei.

Sind die zu verarbeitenden Inhalte aus dem Tanz heraus jedoch zu bedrohlich, reguliert die Psyche die Aufnahme von unbewussten Inhalten, indem sie ausblendet, was sie nicht integrieren kann. Wenn die Psyche dies jedoch nicht mehr leisten kann, kommt es zu krankheitsverstärkenden Symptomen bis hin zu Durchbrüchen von nicht integrierbaren unbewussten Inhalten (Psychose). In solchen Fällen könnte das meditative Tanzen sogar contraindiziert, also schädlich sein.

Tänze regen die Erlebniswelt an, bereichern das Leben durch die in den Tänzen ausgedrückten Lebensinhalte. Sie spiegeln ein kollektives Wissen, einen Schatz der Völker wieder. C. G. Jung nannte diese Kräfte Archetypen. Sie sind von allumfassender Kraft und Wirksamkeit. Dies vor allem bei tradierten Tänzen. Wir können jedoch auch Bewegungen, Richtungen, Gesten und Gebärden als Symbole mit archetypischem Gehalt verstehen.

Um jedoch von persönlicher Bedeutung zu sein, müssen die Archetypen an ein persönliches Bezugsfeld gekoppelt sein, das C. G. Jung die persönlichen, d. h. biografisch bedingten Komplexfelder nannte. Sie sind durch den ganz persönlichen Lebensweg geprägt. Wir können sie als neuralgische Energiefelder verstehen, die anspringen, wenn sie durch äußere Erlebnisse wiederbelebt werden. Dann meldet sich spontane Reaktion, nicht selten sehr affektvoll, die wir nur dann kontrollieren, d. h. in unsere Persönlichkeit integrieren können, wenn wir ihren früheren Ursprung erforschen, sozusagen vom aktuellen Auslöser zurückverfolgen, woher und seit wann dieser innere Konflikt besteht und angelegt war.

So einzigartig unser Leben auch immer wieder erscheint, gibt es durchaus immer wiederkehrende Konflikte und Brüche, die in allen Kulturen und zu allen Zeiten vorkamen. Ein solcher Urkonflikt wäre z. B. die Trennung von den Eltern mit all seiner Ambivalenz von Autonomie und Abhängigkeit. Ganze Märchen sind voll von diesem Thema. Verlief diese entwicklungspsychologische Trennung verbunden mit schweren seelischen Verletzungen, werden sie in Trennungssituationen wiederbelebt. Neben dem persönlichen Bezug, dem Komplex, gibt es auch den kollektiven Bezug, den Archetyp. Er repräsentiert Entwicklungsstadien wie sie zu jeder individuellen wie kollektiven Menschheitsgeschichte gehört.

Tänze können zwischen dem kollektiven Unbewussten und dem persönlichen Unbewussten vermitteln, d. h. dass die Tänze jene Inhalte aus dem unerschöpflichen Reservoir des kollektiven Unbewussten dem persönlichen Unbewussten zuführen können, die für den Selbstentfaltungsweg (Individuation) des Menschen von ganz persönlicher Bedeutung sind. Die Analytische Psychologie C. G. Jungs versteht diesen kommunikativen Prozess als Transzendente Funktion. Tänze können, müssen aber nicht dieser Transzendenten Funktion entsprechen. Die Tänze bilden dann sozusagen eine Brücke zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten, sie vermitteln zwischen diesen beiden Bereichen der Gesamtpersönlichkeit.

Je intensiver ein Tanz wiederholt wird, desto tiefer können die im Tanz zirkulierenden Inhalte vom Bewusstsein aus ins Unbewusste absinken und dort selbstheilende Kräfte anregen. Diese können in Form von Erinnerungen, inneren Bildern, Gefühlsregungen u. ä. m. auftreten.

Können diese Reaktionen in einem aufgreifenden und weiterführenden begleitenden Prozess dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden, hat der meditative Tanz eine therapeutisch wirksame Funktion übernommen.

Vielleicht wäre es sinnvoll, zwischen spontanen Selbstheilungskräften, im Sinne der Psychohygiene und heilenden Kräften der Seele zu sprechen, die therapeutischer Begleitung und Unterstützung bedürfen, um vom Bewusstsein assimiliert zu werden.

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Günter Hammerstein, Tanz und Meditation, Onstmettinger Weg 7, 70567 Stuttgart, Telefon: 0711 7653729, E-Mail info@guenter-hammerstein.de