Der neue Mann - tanzend?

Der Ruf nach dem „neuen Mann“ klingt schon seit geraumer Zeit an und wurde durch Ina Deters Schlager, „Neue Männer braucht das Land“ populär. Als ich im letzten „kreise ziehen“ (1/96) die Ankündigung für den nächsten Themenschwerpunkt las, fühlte ich mich (als Mann) nicht angesprochen. Auch wenn es eine offene Frage war, spürte ich einen elitären Anspruch, als wenn ein tanzender Mann gleich ein neuer Mann wäre. Da klang nicht die selbstkritische Frage an, woran liegt es, dass die Männer in der Tanzszene so dürftig vertreten sind?

Auf die Bitte eines Redaktionsmitgliedes hin habe ich mich nun bewegen lassen, mir die Fragestellung durch den Kopf gehen zu lassen. Die folgenden Gedankengänge können nur skizzenhaft die Komplexität des Themas anreißen und müssen deshalb vieles offen lassen, was einer tieferen Betrachtung dienlich sein könnte. Einige Überlegungen mögen plakativ und pauschal wirken. Sie bedürften der detaillierteren Erläuterung.

Einleiten möchte ich mit meinen persönlichen Erfahrungen als Mann. Bei meinen ersten zaghaften Tanzschritten in Seminaren mit Bernhard Wosien kam ich mir als Mann im Kreis der Tanzenden wie ein Fremdkörper vor. Da war dieser faszinierende „Meister“ und um ihn herum schwärmten die Frauen, dass ich nicht an ihn herankam. Ihn derart anzuhimmeln entsprach mir nicht.

Lange zehrte an mir die Frage, wer bist Du eigentlich als Mann in dieser von Frauen bestimmten Szene. Ich hatte nicht selten mit mir zu kämpfen, bei dem zu bleiben, was mir wichtig war: das Tanzen. Es tauchte in mir immer mal wieder die Frage auf, ob ich für euphorische Begeisterungsstürme, wie ich sie bei Frauen erlebte zu nüchtern sein könnte, vielleicht zu „männlich“?

Der Tanz ließ mich als Mann nicht ausreißen und die Flucht ergreifen, sondern forderte mich heraus, mein mir eigenes Verständnis des Tanzens aufkommen und sich entwickeln zu lassen. Im Blick auf dieses Ziel kann ich erkennen, dass ich diese Auseinandersetzung brauchte, um meine Identität im und mein Verständnis zum Tanzen zu finden.

Es ist ja schon etwas merkwürdiges, dass in Bernhard Wosien ein Mann diese Tanz-Bewegung wesentlich initiiert und geprägt hat und sein Impuls vorwiegend von Frauen aufgenommen wurde. Wo bleiben die Männer? Woran liegt es, dass sich zum Tanzen äußerst wenige Männer anmelden?

Zweifellos gibt es soziale wie rollenspezifische Gründe, warum die Männer nicht nur dem Meditativen Tanz/Sacred Dance/Sakralem Tanz fernbleiben. Sie meiden offensichtlich körperzentrierte Angebote. Besonders solche, die verborgene emotionale Schichten anrühren. Wenn Emotionen angesprochen bzw. ausgelöst werden, kommt ein männliches Gefüge durcheinander, das auf Selbstbeherrschung und -kontrolle programmiert ist. Finden sie ein kämpferisches Moment, Aikido zum Beispiel, wagen sie sich eher auf ein körperliches Erfahrungsparkett.

In unserer Gesellschaft ist die Arbeitswelt nach wie vor - oder allen Emanzipationsbestrebungen zum Trotz mehr denn je - Domäne des Mannes. Die ökonomische Krise hat dieses männliche Privileg verhärtet.

Nach hartem Arbeitsalltag findet der ermüdete und ausgelaugt Arbeitsmann keinen Dreh nach Innen. Seine Kreativität ist auf der Strecke geblieben. Freie Kräfte werden in der Regel eher karrierefördernden Maßnahmen zugeführt, als psychohygienischen. Der Konkurrenzdruck bringt es mit sich, dass die Arbeitskraft einer fortwährenden Erneuerung des Fachwissens folgen muss, um nicht ausgemustert zu werden.

Für Frauen, unabhängig, ob sie im Berufsleben stehen oder nicht, ist es selbstverständlicher, dass ihre Welt nicht nur aus Arbeit besteht, dass sie auch Nahrung für die Seele brauchen.

Diesen - zugegeben verkürzten und pauschalen - Gesichtspunkten möchte ich eine Betrachtung folgen lassen, die sich mehr mit dem Selbstverständnis der „Szene“ beschäftigt.

Der Sakrale Tanz und das Meditative Tanzen haben vielen Frauen geholfen, ihre weibliche Identität zu finden und das Tanzen als ein für sie wesentliches Element zu entdecken, in dem sie zu den Quellen verlorener Weiblichkeit haben zurückfinden können. Im Kreis (tanzender Frauen) haben sie zu dem wiedergefunden, was sie vermisst haben: die Wurzeln der eigenen Weiblichkeit als einen kollektiven Wert zu erleben, sich anzubinden (re-ligio) an matriarchale Werte und aus ihnen Stolz und Selbstbewusstsein im Hier und Jetzt mitzunehmen. Der Tanz hat viele Frauen zutiefst bewegt und verändert.

In einem solchen Selbstfindungskreis stören die Männer. Selbst wenn die Angebote selten sind, die rein für Frauen ausgeschrieben sind, bleibt für Männer doch eine gewisse Reserviertheit, ob sie nun erwünscht oder erduldet sind.

Unabhängig von den Geschlechtern (Mann und Frau) gehört der Tanz m. E. eher zum weiblichen Bewusstsein. Allein schon das zyklisch Wiederkehrende der Tänze ist dem Weiblichen vertrauter, wohingegen das Männliche linear ausgrenzend um sog. Fortschritt bemüht ist.

Den Männern macht das weibliche Element von jeher angst. In seiner psychischen Entwicklung hat das Männliche sich aus dem Bereich des Weiblichen, des Mütterlichen, heraus-entwickelt. Das Weibliche war für ihn das Fremde, das ihm Wesensfremde. Als nährender wie auch verschlingender Schoß ist es zugleich anziehend und furchterregend.

Auf dem Weg der Individuation gehören die Polaritäten vereinigt. Männlich und weiblich sind polare Kräfte, die sich voneinander aus- und abgrenzen und zugleich auch anziehen. Das Männliche bedarf der Ergänzung durch das Weibliche wie umgekehrt das Weibliche auch die durch das Männliche.

Es ist hier nicht der Rahmen die kultur- und menschheitsgeschichtlichen Entwicklungswege in Bezug auf den Meditativen Tanz/Sakralen Tanz/Sacred Dance als einem Weg der Individuation zu reflektieren. Dies mag einer späteren Betrachtung vorbehalten bleiben.

Integration des gegengeschlechtlichen Seelenanteils, C. G. Jung nennt sie Anima und Animus, bedeutet aber nicht ein Zurückkehren auf zurückgelassene Entwicklungsstufen. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, sich auf das Zurückgelassene zurückzubesinnen und es in ein neues Bewusstsein zu integrieren, das Jean Gebser das integrale Bewusstsein nennt. Wenn wir zu den Ur-bildern und Ur-kräften zurückkehren, möchten wir nicht sozusagen mit den Wurzeln in der Erde verweilen, sondern vielmehr die im Ur-grund aufgenommenen Kräfte ans Licht der Sonne (des Bewusstseins) zuführen.

Zweifellos gibt es in der folkloristischen Tanztradition viele „männliche“ Tänze, wie zum Beispiel den Tsamicos. Aber verträgt er sich mit einem Bestreben, im Meditativen Tanzen/Sacred Dance/Sakralen Tanzen das unterdrückte Weibliche wiederzufinden? Ein vorwiegend vom weiblichen Bewusstsein geprägtes Selbstverständnis läuft Gefahr, das Männliche außer acht zu lassen. Vom Gesichtspunkt der Individuation wären besonders solche Tänze fördernd, die die gegengeschlechtliche Seelenseite verkörpern bzw. anregen.

Ein ganzheitlich orientiertes Verständnis Muss Kraft und Dynamik des Männlichen ebenso mit einbeziehen wie das ausgleichende und bewahrende Element des Weiblichen.

Wenn die Männer den Angeboten des Meditativen Tanzens/Sacred Dance/Sakralen Tanzens nicht folgen, mag dies möglicher Weise auch an einer zu einseitigen Ausrichtung liegen.

Es ist unübersehbar, dass die Männer dem Meditativen Tanzen/Sacred Dance/Sakralen Tanz fernbleiben. Dies nur an den unzweifelhaften Schwierigkeiten der Männer mit Bewegung und Ausdruck festzumachen, halte ich für zu kurz gegriffen. Es wird auch interne Gründe geben, warum es bisher noch nicht gelang, die Männer für das Anliegen des Meditativen Tanzens/Sacred Dance/Sakralen Tanzens zu begeistern und einzunehmen.

Abschließend möchte ich noch einen kurzen Blick auf den Zeitgeist werfen, der sich von konfessionellen Einengungen und Bevormundungen frei macht. Erschwert in einer Zeit religiösen Umbruches die Bezeichnung Sakraler Tanz/Sacred Dance nicht den Zugang zum Tanzen, weil er einen Inhalt vorgibt, das Sakrale, der allen konfessionell geprägten Vorurteilen Tür und Tor öffnet? Erst recht, wenn diese Angebote in Häusern unter konfessioneller Trägerschaft angeboten werden? Legt der Sakrale Tanz/Sacred Dance nicht von vornherein fest (auf ein sakrales Erleben des Tanzes) und öffnet nicht den Weg auf ein unbekanntes, noch zu findendes und zu ergründendes Ziel?

Wenn der Sakrale Tanz/Sacred Dance durchaus notwendige Impulse für das kirchliche Gemeindeleben setzen will, die Männer in der Kirche - außer am Altar - unterrepräsentiert sind, dürfte bei einem solchen Hintergrund die Zielgruppe: Mann nur schwerlich anzusprechen sein.

Diese Fragen mögen provozierend wirken. Ich gebe zu, dass ich zögerte, meine sehr persönlichen und wegen ihrer Kürze angreifbaren Gedanken zu äußern. Aus Zeit und Platzmangel konnten sie allenfalls angerissen aber keinesfalls differenziert dargestellt und ausgelotet werden. So bitte ich darum, meine Überlegungen als Denkanstöße anzunehmen, die weniger kritisieren als vielmehr inspirieren und dem Anliegen der Bewegung dienlich sein möchten.

nach oben
Günter Hammerstein, Tanz und Meditation, Onstmettinger Weg 7, 70567 Stuttgart, Telefon: 0711 7653729, E-Mail info@guenter-hammerstein.de